Salat aus dem Container und Fisch vom Dach

2021-05-27T21:05:33+00:0020. Januar 2021|Kolumne, portrait, test|

Urban Farming neu gedacht. / 2.0 / heute. Die urbane Landwirtschaft wandelt sich wie die Bezeichnung selbst:
Der Begriff, der seit den 2000er Jahren neu geprägt worden ist, um die landwirtschaftliche Nutzung in Intensiv besiedelten Regionen und Metropolen zu beschreiben, geht ursprünglich auf Überlegungen zur städtischen Nahrungsproduktion in den 1920er Jahren zurück.

Und schon hier wurde auf die Vorbilder und Ideen der “Gartenstadt”, ein Städtebau-Modell des Briten Ebenezer Howard (1898), Bezug genommen. Sein Modell der planmässigen Stadtentwicklung wiederum war eine Reaktion auf die zunehmend schlechteren Wohn- und Lebensverhältnisse sowie die steigenden Grundstückspreise in den stark gewachsenen Großstädten. Auch das klingt vertraut.

Subsumiert unter den den Begriff des “Urban Farming” wird und wurde auch gerne das “Urban Gardening”, das klassische Bewegungen wie die Schrebergärten-Siedlungen, oder auch das rebellischere “Guerilla Gardening” in sich vereint. “Urban Farming“ und “Urban Gardening” können sich hierbei positiv ergänzen. Während es beim “Urban gardening” in all seinen Ausprägungen jedoch mehr um individuelle Selbstversorgungs – Konzepte, oder auch um soziale und integrative Aspekte geht, steht beim “Urban Farming” die Lebensmittelproduktion für eine größere städtische Bevölkerung im Vordergrund.

“Klassische” Landwirtschaft, wie sie es schon immer in und um Städte herum gab, ist natürlich auch heute noch zu finden. Auf dem Stadtgebiet von Berlin gibt es noch vier Bauernhöfe, die der Stadtbevölkerung regionale Produkte liefern – zählt man die Domäne Dahlem als “Schau- und Lehr-Bauernhof” dazu, sind es sogar fünf.

Allen Betrieben gemeinsam ist, daß sie mit einer der wichtigsten Ressourcen innerhalb einer Stadt, dem Platzbedarf an sich, für heutige Verhältnisse eher extensiv umgehen.

Das Projekt “Weltacker” weist für die momentane Weltbevölkerung eine verfügbare Ackerfläche von 2000m2 pro Kopf aus, die reichen muss (und kann), um eine Person ein Jahr lang vornehmlich vegetarisch zu ernähren (und zu kleiden). Die m2 Tendenz ist allerdings fallend, da die Weltbevölkerung kontinuierlich wächst.

Im Hinblick auf jede Form von Landwirtschaft und im Hinblick auf das “Urban Farming” im Besonderen sind also Konzepte gefragt, die die Nahrungsmittelproduktion auch in die städtischen Realitäten des 21. Jahrhunderts holen und dort nachhaltig verankern.

Die Herausforderung: wie kann eine lokale Lebensmittelherstellung auf kleinstmöglichem Raum, mit – je nach Standort – oft mangelndem Sonnenlicht, unter Ausnutzung minimaler Ressourcen maximalen Ertrag erwirtschaften? Wie kann dies auf eine sozial gerechte und umweltverträgliche Weise geschehen? Kann “Urban Farming” die lokale Lebensmittelsicherheit erhöhen und könnte dies ultimativ zu einer Unabhängigkeit von Teilen der globalen Warenströme führen?

Dachfarm
Oberhausen.
Foto Kuehn –
Malvezzi Architekten

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Im Moment liefern Aquaponik und Container-Farming die vielversprechendsten Konzepte für eine Einlösung dieser Ziele.

Die Aquaponik ist seit 30 Jahren in der Entwicklung und wächst so langsam aus ihren Kinderschuhen und Kinderkrankheiten heraus; sie adressiert 8 der 17 formulierten “Global Development Goals” und ist allein mit diesem Schnitt ein Musterschüler (Ziel 2: kein Hunger; Ziel 8: menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum; Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur; Ziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden; Ziel 12: Nachhaltige/r Konsum- und Produktion; Ziel 13: Maßnahmen zum Klimaschutz; Ziel 14: Leben unter Wasser, Ziel 15: Leben an Land).

Das Aquaponik-Idee beruht auf dem Stickstoffkreislauf. Fische und Pflanzen werden in einem gemeinsamen Kreislauf gehalten und gedeihen auf bzw. in den “Abfallprodukten” des jeweiligen Partners. Von der “Hinterhof-Anlage” bis zu großen städtischen Gewächshäusern auf Dächern oder Brachflächen ist alles denkbar. Systeme ab 15.000m2 produzieren mit einer eigenen Biogasanlage rentabel die von ihnen benötigte Energie. Es sind aber auch “kalte” Aquaponik-Anlagen mit minimalem Energieaufwand möglich. Aaquaponik ist darüberhinaus weitestgehend emissionsfrei und ermöglicht Nahrungsmittelproduktion ohne Abfall, da die Nährstoffe im geschlossenen Kreislaufsystem erhalten bleiben. Einzig ein geringer Verlust an Wasser (durch Verdunstung) geht mit dieser Produktionsform einher – und bei der Fischzucht handelt es sich noch immer um eine Form der Massentierhaltung. Geplant sind auch kleine Endverbraucher-Anlagen.

Zu einem weiteren “Musterschüler” hat sich das Container-Farming entwickelt.

Neben höchster Platzeffizienz – innen wie außen – punktet das geschlossene System des modularen Container farming mit einer maximalen Ressourcen-Effizienz im Hinblick auf Raum, Wasser und Licht, mit saisonaler Wetter-Unabhängigkeit und potentieller Mobilität.

Im Container selbst wachsen die Pflanzen in vertikal angeordneten Regalsystemen. Die LED-Beleuchtung ermöglicht eine energiesparende und Spektrum-genaue Adjustierung für jede Pflanze und jede Wachstumsphase. Sensoren regeln und überwachen Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO2-, Nährstoff- und Wasserversorgung. Das Wasser kommt aus einem geschlossenen Kreislauf, so daß der Wasserverbrauch nur um die 19-38 Liter pro Container-Unit beträgt – ein Bruchteil des Wasserbedarfs in der konventionellen Landwirtschaft. Auf diese Art und Weise werden optimales Wachstum und bestmögliche Erträge erzielt. Pro Woche können z.Bsp. pro Container 1000 Bio-Salatköpfe geerntet werden; 4500 Pflanzen können ganzjährig parallel wachsen. Und das alles auf einer Fläche von nur 30m².

Mitten im städtischen Raum angesiedelt, ermöglicht diese Form des “Urban Farming” zudem eine maximale Reduzierung (bis hin zur Eliminierung) von Transport- und Kühlketten. Geliefert werden kann innerstädtisch per Cargo-bike oder Elektroauto. Das Essen wächst dort, wo es konsumiert wird. Der ökologische Fußabdruck ist zu vernachlässigen.

Urban farming” passt sich neuen Gegebenheiten an – und auch wenn Aquaponik und Container Farming sicherlich nicht mehr viel (mit einem aber auch allzu oft idealisierten Bild) von konventioneller Landwirtschaft zu tun haben, so bieten sie sicherlich mehr als nötige skalierbare Lösungen für die Nahrungsmittelproduktion im urbanen Raum an.

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